CRRC: Das fahrende Werbedisplay rollt an

Der chinesische Bahnhersteller CRRC präsentierte jüngst einen Metrozug, dessen Fenster flächendeckende Displays sind. Ein neuer Werbetrend für DOOH? Für den deutschen Markt sind Experten skeptisch.

Man kann sich das heute gar nicht mehr vorstellen: Aber vor gar nicht so langer Zeit – wenn wir das jetzt mal im größeren historischen Kontext betrachten – war „Aus dem Fenster schauen“ eines der beliebtesten Hobbys der Deutschen. Im Jahre 1957 etwa rangierte es vor Ausschlafen, Bücher lesen, Kino und Verwandte/Bekannte besuchen in der Liste der Top-Freizeitbeschäftigungen. Im Jahre 2018 – wen wundert’s – wird das Ranking in erster Linie von der Mediennutzung dominiert. Im Internet surfen zählt dazu genau so wie der TV-Konsum, der inzwischen ganz vorn liegt.

Hm, wird sich da wohl der chinesische Konzern CRRC gedacht haben, wenn die Menschen immer weniger aus dem Fenster gucken wollen und stattdesssen auf alle möglichen Screens starren, warum geben wir ihnen nicht genau das? Und tatsächlich: Im September diesen Jahres präsentierte der weltgrößte Schienenfahrzeughersteller auf der Bahntechnikmesse Innotrans seinen „Next-Generation“-Metrozug Cetrovo. Ein mit rotem Tuch halb verhüllter Publikumsmagnet, wie das Handelsblatt anerkennend attestierte. Weniger, weil der Zug 140 Kilometer in der Stunde fahren kann, wo herkömmliche Metros mit 80 Kilometern unterwegs sind. Viel interessanter waren die Fenster des ausgestellten Zuges am Stand 4/109. Das nämlich sind Displays, auf denen Filme und Nachrichten genau so gut ausgespielt werden können wie natürlich Werbung. Theoretisch könnten Fahrgäste angeblich hier sogar ihr eigenes Programm zusammen stellen.

Keine Sicht nach draußen: Das irritiert die Fahrgäste

Entsteht hier also beim CRRC gerade in neues DOOH-Werbemedium mit enormem Zukunftspotenzial? Experten sind – zumindest für den deutschen Markt – mehr als skeptisch. Andreas Orth, geschäftsführender Gesellschafter der Vermarktungsgesellschaft mcrud.de, die die Fahrgast-TV-Standorte in Berlin und München betreibt sowie darüber hinaus Dresden, Leipzig und Hannover auf nationaler Ebene vermarktet, führt dafür wesentlich drei Gründe an. Zum einen: „Das Wohl der Fahrgäste hat oberste Priorität – und die orientieren sich bei der Einfahrt des Zuges am Bahnsteig bzw. auch an den Bahnhofsschildern“, so der Chef des größten Vermarkters von Fahrgastfernsehen in Deutschland. In vielen asiatischen Städten wie etwa Seoul sei dies anders, weil die Züge hier stets an fixen Haltepunkten stoppten; die einfahrenden Bahnen seien zudem durch eine Glasscheibe vom Bahnsteig getrennt, was den Fahrgästen ein zusätzliches Sicherheitsgefühl vermittle – doch das fehle hierzulande. Deswegen habe die freie Sicht aus den Zügen einen deutlich größeren Stellenwert.

Zum anderen: Die Scheiben seien eine denkbar ungünstige Werbefläche, weil stehende Passagiere die Screens verdeckten und die davor sitzenden Passagiere sie im Rücken haben. Ein Effekt, der insbesondere bei der bei Werbungtreibenden so beliebten Rush hour zum Tragen komme. „Die Deckenposition der Monitore ist hier bedeutend effektiver, alle anderen Positionen reduzieren die Reichweite besonders in der Primetime“, sagt der Vermarktungs-Experte. Hinzu komme: Die speziell angefertigten Displays treiben die Wartungskosten und damit auch die Standzeiten der Züge in die Höhe und letzteres wiederum mögen die Verkehrsbetriebe gar nicht.

Mit dem in  Berlin vor allem bei Touristen so beliebten 100er Bus hat Orth bereits Erfahrungen mit der Vermarktung von Fensterscheiben im Nahverkehr gemacht. Motive wurden hier mittels 3 M-Folien angebracht. Orth: „Bei Werbungtreibenden kamen die nach außen wirkenden Folien super an, doch die Fahrgäste konnten nur im 45 Grad Winkel rausgucken. Es gab massive Beschwerden“.

Tja, sieht so aus, als habe die Freizeitbeschäftigung „Aus dem Fenster schauen“ in einigen Situationen nicht an Attraktivität eingebüßt.

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