“Der 3rd Party Cookie kann in Ruhestand gehen”

Foto von Lars Hilsenbein, Cynapsis

Lars Hilsebein, Geschäftsführer von Cynapsis Interactive, plant seit vielen Jahren programmatische Kampagnen. Im Interview spricht er über den positiven Trend von DOOH, die Schwäche klassischer Medienkanäle und die intelligente Nutzung von Daten.

Cynapsis wird von großen Agentur-Networks gerne hinzugezogen, wenn es um die Umsetzung programmatischer Kampagnen geht. Ganz generell gefragt: Welche Trends zeichnen sich derzeit ab?

Lars Hilsebein: Wenn wir uns alle digitalen Kanäle ansehen, so geht ein deutlicher Trend aktuell zu Addressable und Connected TV, kurz ATV und CTV. Das betrifft sowohl die Inventare als auch das Interesse der Kunden und damit der Agenturen. Im Bereich DOOH verzeichnen wir ebenfalls einen sehr positiven Trend. Das dürfte daran liegen, dass die Möglichkeiten der Dynamisierung von Kampagnen in diesen Kanälen auf Basis des Standorts immer größer werden. Dadurch steigt fast schon zwangsläufig auch das Interesse an diesen Devices. Vor allem müssen diese Kanäle schon immer ohne personenbezogene Daten performen. Relevanz durch Daten abhängig von der Situation der Betrachter vor Ort ist dafür ein wichtiges Mittel.

Wie entwickelt sich die Nachfrage nach DOOH?

Hilsebein: Der weitläufigen Wahrnehmung, dass DOOH ein zukunftsträchtiges Thema ist, würde ich mich aus verschiedenen Gründen anschließen. Zum einen kehren die Menschen nach der Pandemie wieder in die Innenstädte und damit an die zentralen Plätze zurück. Schon allein deshalb wird die Nachfrage nach entsprechenden Kampagnen weiter zunehmen. Hier haben viele PoS echten Nachholbedarf. Hinzu kommt, dass klassische Medienkanäle wie lineares Fernsehen nicht mehr so funktionieren, wie das in der Vergangenheit der Fall war. Daher müssen sich Planer und Advertiser Gedanken machen, was an diese Stelle treten kann. Und hier wird DOOH aufgrund seiner Wertigkeit und seinen Möglichkeiten in Kombination mit situativem Targeting einen festen Platz bekommen. Das gilt vor allem dann, wenn Spontankäufe, insbesondere von hochpreisigeren Produkten, über Kampagnen forciert werden sollen. Der Vorteil ist einfach, dass ich Menschen in Situationen besser mit Werbeimpulsen erreiche, in denen die Aufmerksamkeitsspanne größer ist als auf mobilen Endgeräten oder beim Medienkonsum, bei dem Werbung nicht selten eher als störend empfunden wird.

Ihr arbeitet bei DOOH viel mit situativen Daten. Da fallen einem als erstes Wetterdaten, Angaben zum Pollenflug oder Corona-Infektionszahlen ein. Damit ist das Terrain vermutlich aber nur unzureichend beschrieben….

Hilsebein: Grundsätzlich arbeiten wir ausschließlich mit PII-freien Daten (red. Anmerkung: Personal Identifiable Information). Das bedeutet, dass unsere Daten keine Rückschlüsse auf einzelne Personen zulassen. Neben unterschiedlichen Geodaten gehören dazu situative Daten. Für die Bewerbung eines Erkältungsmittels fließen in die sDMP (Anmerkung: situative DMP, Eigenprodukt von Cynapsis) beispielsweise Daten ein, die Aufschluss liefern, in welchen PLZ-Gebieten besonders kaltes oder nasses Wetter herrscht. Darüber hinaus nutzen wir Erkenntnisse aus Google Trends, wo besonders häufig nach Erkältungsmitteln oder Behandlungsmethoden gesucht wird. Damit und mit weiteren Daten erstellen wir einen Erkältungs-Index, der ermöglicht, PLZ-genau Werbung für Erkältungsmittel nur da auszuspielen, wo ein gefühlter Bedarf danach besteht. Auf Basis dieser und weiterer Daten können Mediaagenturen so ihren Traffic dann mit uns entsprechend optimieren. Da wir die Relevanz ohne personenbezogene Daten erreichen, kann consent-freier Traffic eingekauft werden. Meist zu einem Bruchteil dessen, was normaler Consent-Traffic kosten würde. Das wirkt sich entsprechend auf den MROI (red. Anmerkung: Marketing Return On Invest) und somit auf den Kampagnenerfolg aus. 

Ein weiterer Effizienz-Booster ist möglich, wenn Großereignisse, Umgebungsdaten, Live-Ergebnisse aus dem Sport, Wetterdaten jeglicher Art, Verkehrsdaten, Verspätungen, aber auch Preisentwicklungen oder Finanzdaten auf unterschiedliche Art und Weise mit kundenindividuellen Daten – wie etwa mit KI analysierte Verkaufszahlen der letzten Jahre – kombiniert werden können. Das macht ganz neue Use Cases möglich! Der Kreativität sind dabei kaum Grenzen gesetzt – wir reden ja allein bei unserer sDMP von insgesamt mehr als 5.500 Datenmerkmalen. 

Bei der Planung geht es auch immer darum, interessante Korrelationen zu finden. Könntest Du dafür ein Beispiel nennen?

Hilsebein: Letztlich kommt es – wie so oft – auf die passende Mischung an. Dazu müssen unterschiedliche Daten zusammengeführt werden, um bspw. komplexe Indizes zu bilden, bei denen Kausalitäten und Korrelationen berücksichtigt werden, die wiederum Einfluss auf die Produktrelevanz und so letztlich auf Kaufwahrscheinlichkeiten haben. Da hier nicht zuletzt auch Daten einfließen, die von den entsprechenden Kunden selbst kommen, kann ich leider nur ein wenig den Deckel lüften. Ein Beispiel verdeutlicht hoffentlich, worum es dabei geht. Zwei unterschiedliche Medikamente für die Erkältungszeit sollen beworben werden – eins für leichte und eins für schwerere Symptome. Für den agilen Kampagnenansatz wird ein Index gebildet, der letztlich festlegt, ob und falls wann und wo, welches der beiden Medikamente beworben wird. Für diesen Index werden in unserer sDMP unter anderem unterschiedliche Wetterdaten, die Google Search, RKI-Daten und Geodaten miteinander kombiniert und Annahmen über Kausalitäten und Korrelationen zugrunde gelegt. Sie bestimmen letztlich den Werbedruck und den Inhalt der Werbung.

Ihr unterscheidet bei Cynapsis zwischen DOOH Indoor und DOOH Outdoor. Warum?

Hilsebein: Für mich gibt es einen großen Unterschied in der Adressierbarkeit der Zielgruppe. Gerade Indoor sind die Screens, auf denen die Werbeinhalte ausgespielt werden, klarer den Zielgruppen zuzuordnen. Befinden sich Screens in Arztpraxen oder Schnellrestaurants, so kann ich klare Aussagen zur konsumierenden Zielgruppe treffen. Etwa bei der konkreten Bewerbung von OTC-Produkten, die beim Hausarzt besser aufgehoben sind als bei anderen Fachärzten. Gleichzeitig ist auch die Verweil- und damit die Kontaktdauer viel höher und es handelt sich vorwiegend um sogenannte Lazy-Time, in der die Zielgruppe sowieso keine andere von ihr geplante Aktion tätigen kann. Das gilt eben auch in Shopping Malls oder Supermärkten.

DOOH Outdoor ist für uns aufgrund des gemischten Publikums und der Tatsache, dass das Angebot vom Kontext – Witterung, Tageszeit, unmittelbares lokales Umfeld etc. – abhängig ist, für den Einsatz situativer Daten auf einer anderen Ebene attraktiv.  

Wo liegen denn Deiner Meinung nach die Stärken der verschiedenen digitalen Außenwerbeangebote?

Hilsebein: Vor allem in der geografischen Nähe zum PoS/PoC (red. Anmerkung: Point of Consumption). Diese Medien erlauben – speziell bei höherwertigen Konsumgütern – viel leichter die Anregung zu Spontankäufen. Für Güter, die man anprobieren, fühlen oder riechen möchte, die man also nicht mal eben online kauft, ist es meiner Überzeugung nach der beste Kanal, um direkt Kaufinspirationen zu liefern. Grundsätzlich gilt: Die spezifische Stärke von DOOH liegt dabei vor allem darin, Besucherströme zu lenken, indem gezielt auf bestimmte PoS im Umfeld aufmerksam gemacht wird. Es ist ja möglich, nicht nur die Frequenz der Passanten zu erfassen, sondern auch den Anteil der Erwachsenen. Darauf kann in Kampagnen entsprechend reagiert werden. Und zwar minutengenau.

Was bedeutet das konkret?

Hilsebein: Indoor kann viel gezielter auf die Bewerbung einzelner Produkte eingehen, was jedoch nicht heißt, dass das Outdoor nicht auch möglich ist. Im Gegenteil: Fließen entsprechende kontextuelle Daten in die Kampagnen ein, funktioniert auch das hervorragend. Letztlich kommt es immer auf Marke und Produkt an, welche Werbeangebote am besten passen. Daher lässt sich das nicht pauschal beantworten. So ergibt es beispielsweise. sehr viel Sinn, wenn Autoverleiher an Flughäfen oder Bahnhöfen DOOH-Kampagnen schalten, wenn gerade massive Verspätungen anfallen – auch das lässt sich ja durch kontextuelle Daten erfassen. Daher sprechen wir ja von situativem Targeting, weil hier das konkrete Bedürfnis der Nutzer in den Blick genommen wird. 

Die eigentliche Stärke aber ergibt sich meiner Ansicht nach erst dann, wenn alle Maßnahmen – gerade auch im digitalen Umfeld – gut aufeinander abgestimmt sind. Ein Beispiel: Für die Bewerbung eines OTC-Medikaments gegen Sodbrennen, ist einerseits situatives Targeting und DOOH ein probater Weg, wenn klar ist, dass in bestimmten Regionen gerade viel gefeiert wird – etwa während der O-Woche in Universitätsstädten oder anderswo beim Oktoberfest. Andererseits ist bekannt, dass Schwangere häufiger Sodbrennen haben. Diese können dann über klassische OBA-Kampagnen (Anmerkung: Online Behavioral Advertising) oder auch die Ausspielung über digitale Screens bei Frauenärzten angesprochen werden. Hinzu kommt noch das bereits erwähnte ATV, CTV sowie Search und Social. Das zeigt, wie komplex es bei der Kampagnenplanung zugeht und dass es eben wichtig ist, über genügend Daten sowie die entsprechende Erfahrung in der Umsetzung zu verfügen. 

Wo müsste die Branche generell noch besser werden?

Hilsebein: Die Wahrnehmung und Sensibilität, welche Möglichkeiten sich durch situative Daten ergeben, sei es weil Kampagnen damit angereichert werden oder sie ausschließlich auf der Kombination unterschiedlicher Daten fußen, ist sicher noch nicht da, wo sie sein könnte. Generell geraten die Möglichkeiten der Dynamisierung von Kampagnen erst nach und nach auf die Todo-Liste der Verantwortlichen für Media-Strategie und -Planung. Die Medianetzwerke haben das Thema in der Breite sicher verstanden und angenommen. Aber in den Marketingabteilungen wird oft an scheinbar einfachen Kampagnen festgehalten, anstatt auf moderne Kampagnen zu setzen, die Kreation und Kontextdaten intelligent miteinander in Einklang bringen. Da bleibt unverständlicher Weise noch sehr viel Potenzial ungenutzt – vor allem wenn man an die absehbare Zeitenwende beim digitalen Marketing zum cookieless Targeting denkt. 

Ein Schlüssel dafür, die neuen Möglichkeiten nutzen zu können, liegt sicherlich in der Automatisierung der Prozesse bei der Einbuchung und Optimierung. In vielen Tools müssen komplexe Eingaben immer noch über ein Webinterface von Hand durchgeführt werden. Verständlich, dass Vermarkter und Netzwerke da oft bei den bestehenden undynamischen Kampagnensettings verharren. Daher ist es gut und wichtig, dass sich auch auf dem Feld der Prozessoptimierung beim Programmatic Advertising eine Menge getan hat! 

Darum: Intelligente Kampagnen, automatisiert aufgesetzt, mit dynamischen Inhalten und von Experten gesteuert – dann kann der 3rd Party Cookie endlich und endgültig in den Ruhestand gehen.

 

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