DMI-Treffen: Die Vermessung des Konsumenten

DMI-Treffen, Hamburg, 23./24. März: Im CinemaxX Dammtor nimmt das DMI seine Mitglieder auf eine Zeitreise in die Zukunft. Während der Vorträge wird deutlich: Über Emotional Decoding eröffnen sich der Branche völlig neue Perspektiven.

Von Karl Lagerfeld stammt der Satz: „Jogginghosen sind das Zeichen einer Niederlage. Man hat die Kontrolle über sein Leben verloren, und dann geht man eben in Jogginghosen auf die Straße“. Nach dem DMI-Treffen in Hamburg denkt man unwillkürlich: Wer weiß? Vielleicht steht das als Proletarier-Chic belächelte Kleidungsstück in urbanen Milieus vor einer Renaissance. Dann nämlich, wenn es realisiert, dass Shoppen im Abhartzer-Outfit womöglich viel günstiger kommt als im Hipster-Style – selbst wenn man weiterhin in dieselben Läden geht. Wer morgens im Schlabberlook etwa die Flasche Wein kauft, zahlt künftig weniger als der gestylte Markenfetischist am Abend. Cindy aus Marzahn bekommt in der Umkleidekabine auf hauchdünne Displays einen anderen Preis der Bluse angezeigt als die hochnäsige GNTM-Aspirantin aus dem Nobelvorort und überhaupt: Macht uns Amazon nicht schon lange vor, dass Preise eigentlich relativ sind – je nachdem, wer wann wo mit welchem Endgerät shoppt?

DOOH hat lebensechten Kontakt zum Konsumenten

Hier kommt die digitale Außenwerbung ins Spiel. Mehr und mehr, machten die Referenten auf dem DMI-Treffen klar, geht es darum, über technische Lösungen ein tieferes Verständnis über die tatsächlichen Bedürfnisse und Wünsche der Konsumenten zu bekommen. Damit will man letztlich auch ausloten können, was sie bereit sind auszugeben. Das wollen natürlich alle wissen, doch die Wege unterscheiden sich grundsätzlich: Im Online-Mark setzt man auf Targeting und entsprechende Algorithmen – in der Regel auf anonymisierte Userprofile, denen eine Vielzahl an Konsum-Eigenschaften zugeschrieben wird und aus denen wiederum statistische Zwillinge gebildet werden. Anders im DOOH: Weil sie im öffentlichen Raum stattfindet, ist der lebensechte Kontakt mit dem Konsumenten gegeben. Das eröffnet in zweifacher Hinsicht neue Perspektiven.

Zum einen in der Ansprache und Interaktion: So hob etwa DMI-Geschäftsführer Frank Goldberg die Bedeutung von Beacons hervor. Mobile Kampagnen für einzelne Zielgruppen seien in Verbindung mit digitaler Außenwerbung schon jetzt in Echtzeit möglich. Die beim DMI-Treffen von Anna Maria Deisenberg präsentierten Zahlen sind vor diesem Hintergrund eigentlich ein zweischneidiges Schwert. So betonte die Marktforscherin, dass nur 1,4 Prozent der mobilen Internetnutzung im Umfeld von DOHH stattfinden würde und zerstreute damit Befürchtungen, dass die Leute selbst in der Öffentlichkeit nur noch wie hypnotisiert auf ihr Smartphone starrten. Auf der anderen Seite heißt das auch: Das Wechselspiel zwischen digitaler Außenwerbung und Mobiltelefon findet de facto noch gar nicht statt. Das tatsächliche Potenzial des Werbeträgers wird also noch nicht richtig genutzt.

Künftig erfasst digitale Außenwerbung den sozialen Status der Konsumenten

Podiumsdiskussion auf dem DMI-Treffen in Hamburg

Zum anderen in Sachen Marktforschung: Bezeichnend, dass gleich zwei Referenten, Thomas Fehn, CEO von Pyramics, und Silke Moser, Division Manager bei der GfK, in ihren Vorträgen die Bedeutung von biometrisch technischen Messverfahren hervorhoben. Über kleine Kameras – integriert in entsprechende Displays – erfassen sie etwa Alter, Geschlecht und auch emotionale Verfassung des Konsumenten, der sich gerade im Umfeld des Werbeträgers aufhält. Doch das ist erst der Anfang: Entsprechende Systeme, so Fehn, würden künftig auch ethnische Herkunft, Haarfarbe, Hautfarbe und Kleidungsstil auswerten. Letztgenanntes würde Rückschlüsse auf den Wohlstand zulassen. Dass besorgte Verbraucherschützer bei diesem Gedanken schaudern, dürfte niemanden ernsthaft überraschen – auch wenn die Daten nur anonymisiert eingesetzt werden. Doch vieles spricht dafür, dass sich eine solche Form des Emotional Decoding durchsetzt. So hat das amerikanische Start-up Cloverleaf Media bereits einige Supermärkte in den USA mit einer entsprechenden Software ausgestattet. Diese erkennt, ob Kunden in Sichtweite sind, und passt Werbebotschaften an den vermuteten Gefühlszustand an. Nebenbei erfasst die Analysesoftware, in welchen Gängen weniger Kunden verkehren, wo sich die jungen aufhalten und wo die älteren.

Und weil es ja eh immer nur um drei Dinge gehe: Verkaufen, verkaufen, verkaufen, wie DMI-Ehrenpräsident Thomas Koch scherzhaft meinte, dürfte es nur noch ein kleiner Schritt sein, bis sich im Handel auch die Preise geradezu in Echtzeit ihren Konsumenten anpassen. Je nachdem, ob nun verstärkt Vertreter des Prekariats oder die High Performer gerade den Shop frequentieren, geht der Preis runter oder eben wieder rauf. Einen entsprechenden Seismographen hätten sie dafür ja.

Klar ist: Die Anforderungen für alle Marktteilnehmer werden sich damit grundsätzlich ändern. Mediaagenturen, so etwa das Fazit des Panels „Programmatic DOOH – wie viel Mensch und wie viel Maschine?“ würden im Zuge der technischen Entwicklung zu Consultants mit angeschlossener IT werden. Für uns als Konsument kann das nur heißen: rein in die Jogginghose aus Ballonseide und ab zum Shoppen.