Verena Gründel, Mitglied der W&V-Chefredaktion, über Gentrifizierung in der Außenwerbung, neue Kundenpotenziale – und die aktuelle Warsteiner-Werbung.
Lesenswert: Verena Gründel, Mitglied der W & V-Chefredaktion, analysiert die Erfolgsgeschichte der Außenwerbung. Sie meint: Was einst eines der langsamsten Medien war, wird dank digitaler Aussteuerung wahnsinnig schnell und erreicht fast Echtzeit. Die älteste Werbegattung mausert sich zu einer der modernsten. Warum das so ist, wie es mit der Branche weitergeht und wie DOOH die Entwicklung der gesamten Gattung vorantreibt, erzählt sie hier im Blog.
Verena, Du schreibst: Außenwerbung ist Liebling der Werber. Warum, glaubst Du, ist das so?
Verena Gründel: Außenwerbung vereint viele Vorteile: Sie ist eines der wenigen Medien, die eine breite Zielgruppe erreicht. Das sind oftmals die Menschen, die man mit dem anderen Massenmedium TV nicht mehr erreichen kann. Dabei steigt die Reichweite sogar – wenn wir uns nicht gerade im Corona-Shutdown befinden. Sie wird von der breiten Masse akzeptiert, weil sie kaum stört. Man kann sie nicht wegschalten oder blockieren. Digitale Außenwerbung lässt sich heute immer häufiger programmatisch und in Echtzeit buchen. Die Werbemittel lassen sich dynamisch anpassen und immer besser zielgruppenspezifisch aussteuern. Außerdem gibt es keine Probleme mit Brand Safety oder Adfraud.
Die älteste Werbegattung, Außenwerbung, mausert sich zu einer der modernsten. Woran liegt das?
Gründel: Sie schafft es erfolgreich, sich zu digitalisieren und an viel schnellere Medien wie Onlinewerbung anzupassen. Dafür gibt es aus meiner Sicht zwei Gründe: Zum einen werden immer mehr OOH-Stellen in digitale Werbeträger umgewandelt und an Onlinebuchungsplattformen angebunden. Zum anderen etablieren neue Anbieter völlig neue DOOH-Werbeträger – etwa am POS, in Fitnessstudios oder auch in Apotheken und Arztpraxen. In Summe kann man damit viele Außenwerbescreens heute schon in Fast-Echtzeit buchen und bespielen und zudem die Webemittel dynamisch und automatisiert anpassen. Zum Beispiel über Daten aus externen Quellen. Die Transformation vom analogen zum digitalen Werbeträger macht das Medium in diesem speziellen Fall für den Werbetreibenden jedoch nicht unbedingt billiger als vorher.
Wie könnte das zum Beispiel aussehen?
Gründel: Für die mittelfristige Zukunft könnte ich mir folgendes Szenario vorstellen: Ein Einkaufszentrum am Stadtrand wirbt auf digitalen Werbeträgern in der Stadt. Wenn die maximale Kapazität an Kunden – darauf werden wir wohl in Zukunft noch mehr Acht geben müssen – erreicht ist, wird stattdessen das Visual für die zweite Mall des Betreibers gezeigt. Oder alternativ der Hinweis, dass es ab 19 Uhr leerer wird. Ein wertvoller Hinweis. Denn wer einmal vor verschlossenen Türen warten musste, wird das nächste Mal vielleicht nicht wiederkommen. Klar passen sich die Motive der Mall automatisch an das Wetter und die Tageszeit an.
Du diagnostizierst eine Gentrifizierung im Markt. Was genau meinst Du damit?
Gründel: Bei Gentrifizierung geht es eigentlich darum, dass Immobilien renoviert und aufgewertet werden, damit man sie danach teurer vermieten kann. Einen ähnlichen Effekt sehen wir in der Außenwerbung. Klassische Flächen weichen digitalen Flächen. Unbeliebte Werbeträger, zum Beispiel in dunklen Bahnunterführungen, fallen weg, dafür kommen schicke Bildschirme in Einkaufszentren, an Flughäfen, vor Bürogebäuden oder an der Autobahn dazu. Die neuen digitalen Flächen sind hochwertiger. Aber manche davon sind auch deutlich teurer – und wir sprechen hier über signifikante Preissteigerungen.
Was meinst Du mit “signifikant”?
Gründel: Ein plakatives Beispiel: Laut dem FAW sind digitale Citylightposter im Schnitt sechsmal so teuer wie klassische Citylightposter. Das ist schon enorm. Allerdings muss ich dazu sagen, dass diese Zahlen zwar aus 2020, aber von vor der Krise stammen.
Du sprichst hier von digitalen Citylightpostern im Vergleich zu den klassischen Citylightpostern. Aber die decken nur einen kleinen Teil des DOOH-Marktes ab. Die Mehrzahl der 126.000 DOOH-Werbeträger ist komplett neu…
Gründel: …das stimmt – und dort ist das Preisniveau auch deutlich niedriger. Eine Vergleichbarkeit mit traditionellen Medien ist hier natürlich nicht gegeben. So oder so: Ich denke, dass durch die augenblicklich rückläufigen Reichweiten und die sich abzeichnende Rezession übergreifend die Preise unter Druck geraten.
Insbesondere DOOH hat der Gattung neue Kunden zugeführt. An welche denkst Du dabei konkret?
Gründel: Vor allem Unternehmen mit digitaler DNA wie Online-Pureplayer werben oftmals vor allem in ihrem bevorzugten Medium, also im Internet. Da sich die Außenwerbung nun quasi an das Internet angedockt hat, können diese Unternehmen über ihre gelernten Buchungswege und zum Teil sogar über dieselben Plattformen und DMPs auch digitale Außenwerbung buchen. Die Hürde sinkt also. Und das nutzen nun tatsächlich immer mehr dieser Unternehmen.
Ein wesentlicher Treiber für das Wachstum sind die Echtzeitbuchungen im DOOH-Markt. Welche Rolle spielen dabei medienübergreifende Buchungsplattformen wie The Trade Desk oder Active Agent?
Gründel: Die Netzbetreiber öffnen sich diesen Buchungsplattformen immer weiter. Das senkt die Hürde erneut für viele Unternehmen, digitale Außenwerbung zu buchen. Der Nachteil ist aber, dass die Beratung fehlt. Anbieter von spezialisierten DMPs kennen die Ziele und Anforderungen der Werbungtreibenden und auf der anderen Seite die Spezifikationen und Eigenheiten des Mediums besser.
Wo siehst Du die künftigen Herausforderungen speziell im DOOH-Markt?
Gründel: Im Moment ist eine der größten Herausforderungen, die Buchungs- und Umsatzvolumina nach den Ausgangsbeschränkungen wieder auf das Niveau vor der Krise zu heben. Da wir sicherlich das ganze Jahr noch weniger reisen und in der Stadt unterwegs sein werden, brauchen die Reichweiten eine Weile, um sich zu erholen. Außerdem ist das Ausmaß der Rezession noch nicht absehbar. Aber darunter leiden nicht nur die Außenwerbung, sondern alle Webemedien. Durch die rückläufigen Umsätze wird sich der Netzausbau an digitalen Werbemedien vermutlich verlangsamen – das Geld wird nicht mehr so locker sitzen. Langfristig glaube ich aber, dass sich digitale und klassische Außenwerbung komplett von der Krise erholen werden.
Und natürlich zum Abschluss: Wenn Du an digitale Außenwerbung denkst, welches Motiv kommt Dir als erstes in den Sinn?
Gründel: Das ist schwierig. Ich glaube meine Endkundenwahrnehmung wird von den vielen Kampagnen überlagert, mit denen ich beruflich zu tun habe. In Zeiten der Ausgangsbeschränkung hat mir besonders die Warsteiner-Werbung gefallen mit dem Spruch: „Diese Werbung hier solltest du gar nicht sehen.“ Die Brauerei hat das Medium DOOH in dieser Phase perfekt eingesetzt. Die Kreation ist gleichzeitig entlarvend und sympathisch mit einem Augenzwinkern.