Christopher Reher, Managing Director Germany der DSP Platform 161 und Vorsitzender des BVDW-Ressorts Data Economy, prognostiziert: Programmatic und Beacons verleihen der DOOH-Branche schon im nächsten Jahr einen gewaltigen Schub (Foto: Raimar von Wienskowski).
Herr Reher, das Jahr 2018 war für die Werbeträger eher durchwachsen. Können Sie für 2019 etwas mehr Optimismus verbreiten?
Ja, kann ich durchaus. Wir haben speziell für die DOOH-Branche zwei Wachstumstreiber, die sich im kommenden Jahr in weiten Teilen durchsetzen und auch beflügeln könnten: nämlich Programmatic und die ergänzenden Modelle der Nahfeld-Kommunikation – etwa Beaconing.
Programmatic scheint im Marketing ein bisschen, was die Zahl 42 in „Per Anhalte durch die Galaxis“ ist: Die Antwort auf alles. Inwieweit hieraus tatsächlich Wachstumsimpulse entstehen, bleibt weiterhin offen.
Andersherum: Wer nicht eine programmatische Infrastruktur schafft, entkoppelt sich vom Markt und damit vom Wachstum. Die Frage, ob ich mein bisheriges Geschäftsmodell in ein neues überführen will, muss jeder Anbieter selbst beantworten. Und ja, so mein Eindruck, in der Vergangenheit schien die Entschlossenheit dazu nicht sehr ausgeprägt. Doch der Wind hat sich inzwischen gedreht. Der Markt zieht spürbar an. Wenn es gut läuft, könnten schon im kommenden Jahr rund 30 Prozent des Inventars der digitalen Außenwerbung hierzulande programmatisch gehandelt werden.
Als Managing Director einer DSP überrascht uns Ihre Einschätzung nicht.
Schauen Sie sich Märkte wie Kanada an, wo die gesamte digitale Werbung inzwischen nahezu ausschließlich programmatisch gehandelt wird. International ist der Trend eindeutig. Zu glauben, der deutsche DOOH-Markt bliebe mittelfristig hier die Ausnahme, wäre realitätsfern. Und nochmal: Die größte Hebelwirkung hätten wir, wenn wir die beiden Wachstumstreiber Programmatic und Nahfeld-Kommunikation/Beaconing viel stärker miteinander verzahnen. Noch laufen die Dinge parallel.
Was also ist zu tun?
Das ist vielschichtig: Zum einen müssen Publisher und Werbungtreibende natürlich die Bereitschaft und Voraussetzungen mitbringen, in diesen Markt einzusteigen. Das scheint gegeben – zumindest haben die Anfragen aus dem DOOH-Markt bei uns sprunghaft zugenommen. Zum anderen benötigen wir hierzulande endlich eine ideologiefreie Debatte zum Thema datengetriebene Geschäftsmodelle, Werbung und natürlich auch den praxistauglichen Einsatz von neuen Technologien wie Beacons.
Was genau meinen Sie damit?
Schauen Sie sich Alexa oder Google Assistant an. Hier haben wir Produkte die tatsächlich umfassend in den Alltag der Menschen integriert werden und ihnen subjektiv einen erheblichen Mehrwert liefern. Diesen Mehrwert können sie aber nur liefern, weil sie eben kontinuierlich Daten erfassen, auswerten und auf Basis dieses Prozesses dem Nutzer das bestmögliche Erlebnis bieten. In der Regel werden bei Befragungen von den Nutzern immer wieder die positiven Aspekte dieses Prozesses, wie zum Beispiel die Vereinfachung des Alltages, die zielgenaue Bedürfnisbefriedigung und Verbesserung des Lebensgefühl hervorgehoben. Gesamtgesellschaftlich werden sie als „Helfer“ gesehen und entsprechend positiv belegt.
Das stört Sie, oder?
Ja, denn zum gleichen Zeitpunkt haben wir eine Debatte darüber, dass die Nutzer vor Werbung und personalisierten Angeboten nicht „verfolgt“ werden sollen. Es wird immer wieder lediglich negativ betont, wie sehr dies in die persönliche Sphäre der Nutzer eingreifen würde. Werbung ist aber in der Regel dann am besten, wenn sie genau diesen Prozess verfolgt. Wenn Sie Informationen aufnimmt, kontinuierlich auf den Nutzer und seine Bedürfnisse eingeht und ihm schlussendlich genau dann jenes Produkt anbietet, wenn er es tatsächlich benötigt. Durch die negative Vorprägung haben wir hier aber eine gänzlich ablehnende Einstellung, auch von offizieller Seite aus. Sie sehen, wir haben hier exakt die selben Prozesse, aber eine fundamental unterschiedliche öffentliche Wahrnehmung. An diesem Punkt muss man gemeinsam in einen Dialog eintreten und versuchen den gesamten Prozess zu entmystifizieren. Ziel muss es sein, dass datengetriebene Geschäftsmodelle, Gesellschaft und Politik in einem positiven Dialog zu einem Modus kommen, der allen Beteiligten einen möglichst positiven Effekt beschert. Auf dieser Basis kann Fortschritt und damit eine taugliche digitale Zukunft für Deutschland und Europa geschaffen werden.
Sie sind im BVDW als Vorsitzender des Ressorts Data Economy aktiv. Nehmen Sie sich damit gerade selbst in die Pflicht?
Ja, das sehen wir so. Wir werden uns im Laufe des Jahres mit einem Whitepaper zum Thema Beaconing und DOOH beschäftigen, das natürlich auch umfassend die rechtlichen Aspekte betrachten wird. Wir haben einen Code of Conduct zum Thema Programmatic Advertising, der für die DOOH-Branche natürlich gleichermaßen Gültigkeit hat. Gleichwohl wollen wir deie Datenschutzbehörden hier in dieser Debatte natürlich nicht aus der Verantwortung lassen. Es liegt auch an ihnen, eine aktive Beratung für Unternehmen anzubieten. Sollten die Datenschutzbehörden es hier noch an technischer Tiefenkenntnis vermissen lassen, bieten wir sehr gerne entsprechende Gespräche an, um Wissen zu transferieren und aufzubauen und so die Gesellschaft und den Wirtschaftsstandort Deutschland in eine positive und digitale Zukunft zu bringen
Wie verändert der stärkere Einsatz der Nahfeld-Kommunikation aus Ihrer Sicht die Branche: Bleibt DOOH ein Massenmedium? Wird es ein Individualmedium? Oder ein Mix aus beidem – also ein individualisiertes Massenmedium?
Ich glaube, grundsätzlich müssen wir aufhören, mit den Denkmodellen und Schablonen von gestern die Medienwelt von Morgen deuten zu wollen. DOOH zeigt exemplarisch, dass wir viel stärker zu einer kontextbezogenen Sichtweise übergehen müssen. Digitale Außenwerbung kann beides zugleich sein – individualisierte Ansprache und Massenmedium. Die Pepsi-Kampagne, über die Sie ja neulich auch berichteten, ist dafür ein schönes Beispiel.
Inwieweit kann Google das von Ihnen prognostizierte Wachstum im Bereich DOOH torpedieren?
Sie spielen auf die Meldung an, dass Google auch in den deutschen DOOH-Markt einsteigen will?
Genau.
Angst ist bekanntlich immer ein schlechter Ratgeber. Ich glaube deshalb, wir müssen uns jetzt endlich auf Standards einigen – von der Übermittlung der Werbemittel über das Tracking bis hin zu den Preismodellen und der Abrechnung. Und Anbieter müssen sich natürlich auch im Klaren sein: Jedes Stück Inventar, das sie an Google verkaufen, mindert deneigenen Marktanteil. Wohin das führen kann, sehen wir im klassischen Online-Geschäft.