Für die Planung von DOOH sind Daten eminent wichtig. Aber welche Quellen sind verlässlich? Welche sind frei zugänglich? Und welche taugen als Grundlage für eine Leistungsberechnung der Touchpoints? Ein Gespräch mit Lars Kirschke, It Works, über die Validität von Daten, die Grenzen der Präzision und den Unterschied zwischen Mobilitäts- und Trackingdaten.
Herr Kirschke, die Corona-Krise hat gezeigt: Standarddaten wie die aus dem Frequenzatlas helfen bei der OOH-Planung nicht weiter. Sie zeigen, was mal war, aber nicht, was gerade ist. Ist dies das Ende für die klassischen Messmethoden?
Lars Kirschke: Vorweg möchte ich betonen, dass eine gemeinsame Währung und Stabilität eine wichtige Maxime unseres Mediums sind, an der wir festhalten sollten. Die Messmethodik und die Intervalle der Erhebung halte ich allerdings für stark reformbedürftig. Frequenzen von 2013 für eine Planung in 2020 und später zu nutzen, ist in der heutigen Zeit nicht mehr nachvollziehbar.
Corona hat nur sichtbar gemacht, was vorher schon Fakt war: Die Mobilität und die faktischen Verkehrsströme sind dynamisch und das muss eine Leistungsbewertung abbilden. Leider gibt es keine Plug-and-Play-Lösung, aber es gibt Ansätze und Quellen, die wir dahingehend prüfen und kombinieren müssen.
Das bedeutet: Wir brauchen aktuelle Mobilitätsdaten. Welche stehen zur Verfügung? Und wer erhebt Sie?
Kirschke: Die Quellen sind sehr unterschiedlich. Einige Firmen, wie zum Beispiel Hystreet.com als Spin-off der Aachener Grund erheben Frequenzdaten als originäre Leistung für die eigene Geschäftstätigkeit. Sie zeigen sehr transparent auf, wie sich die Frequenzen in den Fußgängerzonen entwickeln: auf Stunden- und Tagesbasis. Die Messmethodik mittels Laser ist das präziseste, was es aktuell gibt und datenschutzkonform noch dazu. Die Analyse der Daten hat uns speziell während der Distanzbeschränkungen der letzten Monate sehr genau gezeigt, wie sich mittlere Städte ohne Stadtteilzentren gegenüber Großstädten mit Tourismus verhalten. Oder das Gefälle zwischen den stärker reglementierten Orten in Bayern versus vergleichbarer Orte in NRW. In Verbindung mit Datenquellen aus der digitalen Welt, wie zum Beispiel Google, hat sich hier ein sehr einleuchtendes Bild ergeben, welches sich auch mit unseren eigenen Wahrnehmungen gedeckt hat.
Google hat unterschiedliche Touchpoints/Places geclustert und somit die Grundlage geschaffen, Mobilitätsanlässe und Orte miteinander zu verbinden. Also: Welche Auswirkung hat eine steigende Homeoffice-Tätigkeit auf den Mobilitätsradius und die genutzten Verkehrsmittel. Die von Apple veröffentlichten Daten zu Ländern und einzelnen Städten haben klar dokumentiert, wie stark sich Regionen und die Nutzung der Verkehrsmittel voneinander unterschieden haben. Für uns eine wichtige Grundlage, um dadurch Werbeträgerarten unterschiedlich zu bewerten.
Keine der Quellen hat die absolute Wahrheit. Aber je mehr Data Sources ich verknüpfen kann, desto valider wird die einzelne Information. Wenn ich dreimal Werte für den Rückgang von ÖPNV um 22 bis 26 Prozent erhalte, ist dieser Korridor kaum noch bestreitbar. Anhand dieser „Metadaten“ kann ich auch andere Quellen kalibrieren, die mir nur einen kleineren Ausschnitt der Bevölkerung bieten, wie zum Beispiel AdSquare oder GIM Traces.
Sind diese Daten frei zugänglich?
Kirschke: Interessanterweise sind viele der Daten frei zugänglich, da sie aktuell im Interesse der Gesamtbevölkerung liegen. Die Aggregation ist im Zuge der Corona-Krise erfolgt und es ist unklar, ob und wie diese zukünftig bereitgestellt werden, wenn die Notwendigkeit pandemiebedingt abnimmt. Es gibt auch Datenquellen, die zugänglich sind, deren Daten man aber kaufen muss.
Welche davon kann man denn nun tatsächlich für die Planung von DOOH einsetzen?
Kirschke: Das ist keine leicht zu beantwortende Frage. Wir nähern uns mit der Dynamisierung der Public & Private Screen Studie dem Thema einer soliden Datenquelle. Wenn zusätzlich seitens der Anbieter vermehrt Tracker eingebaut werden, wird das ein weiterer positiver Schritt sein. Damit schaffen wir für viele Touchpoints einen Währungscharakter. Trotzdem wird das einigen Touchpoints und den Werbeträgern im öffentlichen Raum nicht gerecht. Hier brauchen wir andere Ansätze. Auf der anderen Seite haben wir Anbieter, die heute schon mit Echtzeitdaten arbeiten und unter anderem Passagierdaten einzelner Flüge für die Buchung, Aussteuerung der Screens und Abrechnung anbieten.
Wir haben ein Modell entwickelt, welches die besten Daten für die jeweiligen Touchpoints beziehungsweise Werbeträger nimmt und daraus eine Bewertungsmatrix gemacht. Das hat sich in der Covid-19 Zeit bewährt, weil wir je nach Verkehrsstrom eine Gewichtung der Basiszahlen anhand täglicher oder wöchentlicher Daten vornehmen konnten. Das Modell ist so flexibel, dass wir unterschiedliche Regeln auch nach Region angewendet haben, zum Beispiel Bayern gegenüber NRW.
Wo liegen ihre Grenzen? Können wir in dem Zusammenhang von Präzision sprechen?
Kirschke: Die Grenzen liegen bei den Audiences meist in der Fallzahl, gekoppelt mit der räumlichen Granularität. Beides auf einem Top Level zu haben, ist die Königsdisziplin. Die eben erwähnten Passagierdaten bieten diese Kombination, aber sie lässt sich nicht auf alle Werbeträger übertragen.
Gerade die Telkos bieten aktuelle Mobilitätsdaten an. Wie ist Ihre Einschätzung?
Kirschke: Das ist ein gutes Beispiel für eine hohe Fallzahl – bis zu 42 Millionen – gekoppelt mit einer hohen Datendichte, aber mit einer Granularität, die eine Leistungsbewertung einzelner Screens kaum möglich macht. Die Wabengröße erlaubt es maximal, einen größeren Bahnhof zu messen. Das ist für die Bewertung von Einzelstandorten deutlich zu grob. Entsprechend war die Resonanz im Markt verhalten oder hat als wirtschaftliche Perspektive für die Spin-Offs von Telecom (Motionlogic) und Telefonica (Next) scheinbar nicht gereicht. Beide Firmen haben die eigenständige Vermarktung der Daten eingestellt.
Viele verwechseln Mobilitätsdaten mit Trackingdaten, die in der Tat manchmal aus datenschutzrechtlicher Sicht bedenklich sind. Bitte eine kurze Aufklärung.
Kirschke: Im Zuge der Berichterstattung wurden die Telco-Daten schnell in den Topf mit Corona-Trackingdaten auf Nutzerebene geworfen, wie sie in asiatischen Ländern eingesetzt werden. Das eine hat nichts mit dem anderen zu tun. Die Telco-Bewegungsdaten werden vollkommen pseudonymisiert erhoben und zu größeren Datenpunkten gebündelt, um keine Rückschlüsse auf einzelne Endgeräte und damit Nutzer zuzulassen. Zusätzlich gibt es noch eine eingeschränkte zeitliche Dimension bezüglich der Bevorratung der Daten. Das ist durch diverse Datenschutzbeauftragte geprüft und zertifiziert worden. Tracking- oder Tracingdaten, wie sie in Asien zur Kontrolle von Bewegung und Kontakt eingesetzt werden, gibt es hier überhaupt nicht. Sie standen kurz zur Diskussion, aber wir alle kennen den dezentralen Ansatz, den Deutschland bei der Corona Warn-App eingeschlagen hat.
Die Trackingdaten, die uns datenschutzkonform zur Verfügung stehen, kommen aus Paneln wie zum Beispiel dem GIM Tracingpanel von Gapfish. Hier haben Nutzer der Standortabfrage dezidiert und zu diesem Zweck zugestimmt. Eine Alternative mit hohen Fallzahlen bieten Apps, die genauso einen Consent für die Nutzung der Standortdaten einholen müssen. Mit Hilfe dieser Informationen können wir Mobilitätstypen und Bewegungsmuster definieren, die uns bei der Planung und Bewertung von Screens helfen.
Welche Datenquellen könnten die künftige Basis für eine Leistungsberechnung der Werbeträger und Touchpoints bilden?
Kirschke: Mit der P&PS Studie und der Ergänzung durch Tracking und dem GIM-Panel hat das DMI schon eine gute Grundlage geschaffen. Wichtig wäre es, diesen Standard für neue Marktplayer durchzusetzen. Zusätzlich werden sich Angebote im Markt etablieren, die transparent ihre Messmethodik nachweisen, um spezifische Touchpoints besser abzubilden. Hier sei beispielhaft eine Software genannt, welche die Passanten eines vorbeifahrenden Taxis erfasst und so eine Kontaktmessung für die Beklebung oder die Dachwerbung ermittelt. Wir stehen hier am Anfang der Entwicklung und ich bin sehr gespannt, auf was wir in zwei Jahren zurückblicken werden.
Wie lange wird es dauern, bis sich die Branche auf veränderte Standards einigen wird?
Kirschke: Wir fänden es gut, wenn die Marktteilnehmer eine Messmethodik auswählen würden und diese zentral weiterentwickeln – ob das im DMI oder FAW passiert, dürfte eigentlich egal sein, solange es zügig passiert. Es wäre auch wünschenswert, die Belange der Werbetreibenden zu berücksichtigen, um Akzeptanzprobleme, wie sie die digitalen Medien seit einigen Jahren erleben, zu vermeiden.
Lars Kirschke arbeitet seit 30 Jahren im Marketing, Schwerpunkt Media und strategische Unternehmensentwicklung. Er war CEO der Optimedia (heute Publicismedia), Chief Digital Officer der GroupM, CEO der MEC (heute Wavemaker) und Geschäftsführer der Xaxis/Light Reaction. Heute ist er geschäftsführender Gesellschafter der It Works.
Siehe auch:
Lars Kirschke: “Wir müssen uns mit einheitlichen Standards präsentieren.”