Media-Märchen: Wir sind always on

Alle sind always on und starren nur noch auf ihr Smartphone. Keiner beachtet mehr die Außenwerbung – so ein gängiges Vorurteil von Media-Entscheidern. Die Wirklichkeit sieht anders aus, wie Zahlen jetzt belegen.

Wer noch die 90er Jahre bewusst mitbekommen hat, also nicht der Spezies der Digital Natives angehört, wird sich dieses geradezu schaurigen Bonmots noch gut erinnern: Die meisten Unfälle passieren zuhause. Und tatsächlich – die eigenen vier Wände sind bisweilen eine echte Erlebnis-Hölle. Was kann nicht alles passieren? Von Verbrennungen über blutige Verletzungen bei den so beliebten alltäglichen Handwerksarbeiten bis hin zum Klassiker – dem Umfaller vom Wackel-Stuhl – reicht die ganze Bandbreite der möglichen Malheure.

Nun sind die Haushalte im Jahr 2017 keineswegs sicherer als noch annodazumal, aber das Leben außerhalb des eigenen Domizils birgt inzwischen ein viel größeres Gefahrenpotenzial. Nicht etwa, weil die Autos schneller, die Radfahrer rücksichtloser fahren oder gar die Jogger hastiger um die Ecke biegen. Nein, Grund sind die zirka 15 Zentimeter langen und rund sieben Zentimeter breiten Dinger, die jeder von uns immer dabei hat – die Smartphones. Jeder sechste Fußgänger ist inzwischen durch den digitalen Alleskönner im Straßenverkehr abgelenkt, ergab im vergangenen Jahr eine Studie der Dekra-Unfallforschung. Ein teils lebensgefährliches Unterfangen, nicht zuletzt weil jeder zehnte Todesfall auf deutschen Straßen durch falsches Verhalten von Fußgängern verursacht wird, wie Experten immer wieder warnen.

Wir sind always on, das aber auch draußen?

Im Ausland geht man deshalb schon längst gegen diese potenzielle Unfallquelle vor. Die Schweizer Polizei setzt mit einem Schock-Video auf Abschreckung, die niederländische Stadt Bodegravens auf Bodenampeln speziell für Smartphone-Junkies, die chinesische Millionen-Metropole Chongqing testet eine spezielle „phone lane“ und New Jersey erwägt rigoros ein Smartphone-Verbot für Fußgänger. Will sagen: iPhone, Samsung und Co sind uns nicht nur ans Herz ge-, sondern teils geradezu auch mit den Händen verwachsen, so scheint es. Wir sind always on. Auch draußen, oder?

Fakt ist: Der exzessive Gebrauch des Mobiltelefons bereitet nicht nur Ordnungshütern Kopfzerbrechen. Auch immer mehr Media-Experten sind besorgt. Wenn die so genannte „Generation Kopf unten“ draußen nur noch auf ihr Smartphone starrt, wie soll sie dann noch all die opulenten Out of Home-Werbemotive wahrnehmen? Drohen nicht gerade in dieser so attraktiven Zielgruppe immense Streuverluste?

Vor DOOH-Werbeflächen bleibt das Smartphone in der Tasche

Eine neue Sonderauswertung der Studie Public & Private Screens gibt jetzt Entwarnung. Zunächst einmal: Der Großteil der mobilen Internet-Nutzung findet in den eigenen vier Wänden statt (54,9 Prozent). Und ein sehr differenziertes Bild ergibt sich bei der Außer-Haus-Analyse der Smartphone-Junkies: 28,3 Prozent der mobilen Internetnutzung findet tatsächlich draußen statt (ohne DOOH), aber nur 8,8, Prozent am Arbeitsplatz und sogar nur 1,4 Prozent der Nutzung passiert direkt an DOOH-Flächen.

Dabei zeigt sich: Out of home kommt das Mobiltelefon keineswegs zum Einsatz, um längere Videos einfach mal entspannt am Stück zu schauen, sondern es wird nur sehr punktuell genutzt – etwa für eine kurze Google-Recherche, ein Blick in Facebook oder die neueste WhatsApp-Nachricht. So hält sich etwa der Durchschnittsdeutsche zwar rund 40 Minuten in der Shopping Mall auf, sein Mobiltelefon nimmt er dabei aber noch nicht einmal fünf Minuten in Gebrauch. Ähnlich sieht es an allen weiteren potenziellen Touchpoints aus. Beispiel Bahnhof: Hier verbringen wir statistisch gesehen 25 Minuten, doch unser digitaler Tausendsassa läuft dabei nur vier Minuten. Die überwiegende Zeit schauen wir also immer noch, was um uns herum passiert.

Für Media-Experten mag das beruhigend klingen. Aber tatsächlich ist es mehr als nur das Widerlegen eines Vorurteils. Mehr denn je geht es darum, die Chance zu nutzen, die das Wechselspiel der beiden Meiden – Smartphone und DOOH – bietet. Über Beacons oder den guten alten QR-Code wären wir technisch für solch einen Brückenschlag schon in der Lage. Und wenn die Nutzer dann vor einer DOOH-Fläche stehen, können wir nur hoffen: Handy an!

aaa